Eine Gruppe Menschen musizieren leidenschaftlich auf der Bühne vor Publikum. Bildquelle: Cemil Erkoç.

Bühnenprogramm bei der Eröffnung. Bildquelle: Cemil Erkoç.

Es klingt wie der berühmte Satz bei Olympia «Hiermit sind die Nationalen Aktionstage Behindertenrechte 2024» eröffnet. Jubel, Freude und viel Applaus war in den Räumlichkeiten des SRF in Zürich Leutschenbach gegenwärtig. Für einmal sind Menschen mit Behinderungen in der Mehrheit. Sie sind als Gäste und Organisator:innen vertreten, singen im Insieme-Chor oder rocken die Bühne als Rollstuhltänzerinnen der Gruppe «Speedy Gon-CH-ales». Dieser inklusive Anlass wurde moderiert von Katharina Locher und Alex Oberholzer. 

Die Schweiz feiert 20 Jahre Behindertengleichstellungsgesetz und 10 Jahre UNO – Behindertenrechts-konvention. In der Vergangenheit hat sich jedoch gezeigt, dass die Umsetzung nur langsam vorangeht. Es benötigt daher in einem weiteren Schritt Taten und Aktionen. 

«Die bisherige Zurückhaltung bei der Einforderung dieser Rechte hat das Bild der «armen Geschöpfe» in der Gesellschaft noch verstärkt. Das muss sich jetzt ändern.»

Islam Alijaj, SP-Nationalrat, Zürich

Die ersten Nationalen Aktionstage Behindertenrechte stehen unter dem Motto «Zukunft Inklusion». Vor zwei Jahren wurden sie im Kanton Zürich auf kantonaler Ebene durchgeführt, mit Erfolg. Eine Umfrage bei allen Schweizer Kantonen zeigte grosses Interesse, diese Tage auch national durchführen zu wollen. «Erst kantonal, dann national, für mich ein logischer Schritt», sagt Nationalrat Islam Alijaj, «nur so können wir den Druck auf die Politik erhöhen, um Tatsachen zu schaffen. Denn wir brauchen Tatsachen.» Menschen mit Behinderungen haben Rechte, welche sie nun einfordern müssen. Alijaj fügt an: «Die bisherige Zurückhaltung bei der Einforderung dieser Rechte hat das Bild der «armen Geschöpfe» in der Gesellschaft noch verstärkt. Das muss sich jetzt ändern.»

Ein Trio aus Rollstuhlfahrer:innen und ein Turner auf der Bühne geniessen den Applaus nach ihrem gelungenen Auftritt. Bildquelle: Cemil Erkoç.

Ein Trio aus Rollstuhlfahrer:innen und ein Turner auf der Bühne geniessen den Applaus nach ihrem gelungenen Auftritt. Bildquelle: Cemil Erkoç.

Schweizer Einigkeit für die Inklusion

Die Schweiz mit ihrem bekannten «Kantönligeist» kann auch Zusammenhalt beweisen. Denn alle 26 Kantone beteiligen sich aktiv an diesen Aktionstagen. Sie werden dabei unterstützt von der SODK (Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren) und dem EBGB (Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen). Giulia Brogini, Leiterin Geschäftsstelle Behindertenpolitik Bund und Kantone beim EBGB und Projektleiterin der nationalen Aktionstage freut sich sehr: «Um den heutigen Startschuss feiern zu können, brauchte es ein Jahr Vorlaufzeit und vor allem die Mitwirkung der Kantone.» 

«Es herrscht die Gefahr, dass man sich nun einen Monat lang über diese Aktionen freut, aber anschliessend niemand mehr daran denkt.»

René Kälin, Präsident der Vereinigung Cerebral Schweiz

Das EBGB unterstützte die Kantone mit Wissen, Erfahrung, Informationen und Schulungen um Aktionen für Menschen mit und ohne Behinderungen zu planen. «Die Kantone mussten sich anschliessend selbst organisieren. Es war uns wichtig, dass dies vor Ort im Tandem geschieht.», sagt Brogini. Das heisst, jeder Kanton arbeitete zusammen mit einer Steuerungs- oder Arbeitsgruppe von Menschen mit und ohne Behinderungen. 

So wurden in der Schweiz rund 1000 Aktionen geplant, die von Mitte Mai bis Mitte Juni 2024 durchgeführt werden. Von Bogenschiessen, über Schreibworkshops und Podiumsgespräche, bis hin zu Lottoabenden. Eine Vielfalt an Angeboten, bei denen Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenfinden – in alltäglichen Situationen. Dies führt zu Inklusion. Da setzen die Aktionstage Behindertenrechte an.

Teilnehmende tauschen sich angeregt in einer grossen Halle beim Apéro aus. Bildquelle: Cemil Erkoç.

Teilnehmende tauschen sich angeregt in einer grossen Halle beim Apéro aus. Bildquelle: Cemil Erkoç.

Zwei Teilnehmer:innen vernetzen sich via Mobiltelefon und Kontaktaustausch. Bildquelle: Cemil Erkoç.

Zwei Teilnehmer:innen vernetzen sich via Mobiltelefon und Kontaktaustausch. Bildquelle: Cemil Erkoç.

Doch auch bei aller Freude über dieses einzigartige Ereignis in der Schweiz, sind Zweifel ebenfalls zu spüren. René Kälin, Präsident der Vereinigung Cerebral Schweiz sagt: «Es herrscht die Gefahr, dass man sich nun einen Monat lang über diese Aktionen freut, aber anschliessend niemand mehr daran denkt.» Er habe die grosse Hoffnung, dass man bereits bei der Planung die Nachhaltigkeit mitgedacht habe. «Die Kantone dürfen nach den nationalen Aktionstagen nicht denken, dass sie ihre Arbeit gemacht haben. Mit diesen Tagen fängt die Arbeit erst an.» Islam Alijaj bekräftigt dies: «Es braucht dringend einen Monitoring-Auftrag und zwar auf Bundesebene.»

«Die Gesellschaft muss Menschen mit Behinderungen begegnen können, mit ihnen etwas erleben, sprich gemeinsame Erlebnisse schaffen.»

Olga Manfredi, Präsidentin Schweizer Paraplegiker Vereinigung

Auch zeigt ein Blick auf die rund 1000 Aktionen der nationalen Tage vor allem Veranstaltungen, welche durch Behindertenorganisationen oder Institutionen geplant wurden. Wirtschaft, Arbeitgeber, Kultur und Freizeitvereine sind nur in kleiner Anzahl als Organisatoren vertreten. Dies erklären sich die Anwesenden mit der Schweizer Zurückhaltung. Erst einmal schauen, lautet die Devise. René Kälin sagt dazu: «Es liegt an den Organisatoren, diese Aktionen nicht in den sogenannten «Kreisen» zu belassen, sondern sie nach aussen zu tragen. Nur dann ist es Inklusion».

Olga Manfredi, Präsidentin Schweizer Paraplegiker Vereinigung sieht die Aktionstage als einen positiven Schritt. «Die Gesellschaft muss Menschen mit Behinderungen begegnen können, mit ihnen etwas erleben, sprich gemeinsame Erlebnisse schaffen.» Dies funktioniere sehr gut über kulturelle Geschichten und Sportanlässe. Diese könnten immer wieder inklusiv organisiert werden. 

Im Fokus des stimmungsvollen blauen Lichtes ist eine Person im Publikum mit Mütze und Kopfhörern zu sehen. Der Mann hat beide Hände erhoben und spendet dadurch Applaus für die gehörlosen Künstler:innen auf der Bühne. Bildquelle: Cemil Erkoç.

Blick ins Publikum. Bildquelle: Cemil Erkoç.

Einigkeit herrscht unter den Anwesenden, dass es die Nationalen Aktionstage braucht. Durch sie sollen Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam Dinge erleben, ohne Zwang, jedoch mit vielen schönen Momenten. Der Abschluss dieser Tage wird in Genf stattfinden. Anwesend sein wird auch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider. Man darf schon heute gespannt sein auf ihr Fazit und ihren Blick in die Zukunft. 

Nationale Aktionstage Behindertenrechte

Vom 15. Mai bis 15. Juni 2024 finden in der Schweiz Aktionen statt, die einen Beitrag zur Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention leisten. Informieren Sie sich über alle Aktivitäten unter folgendem Link:
zukunft-inklusion.ch