In St. Gallen angekommen, leiten Wegweiser bis zur Turnhalle. Diejenige Turnhalle, in der heute (24.11.22) die Unterzeichnung der Vereinbarung für eine neu geschaffene «Koordinationsstelle inklusiver Sport Kanton St. Gallen» von Vertreter:innen des Kantons und Special Olympics stattfindet. Special Olympics ist die grösste internationale Sportbewegung für Menschen mit einer geistigen oder mehrfachen Behinderung. Ziel dieser Vereinbarung ist es deshalb, Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, in ihrer näheren Umgebung regelmässig Sport zu treiben.
Klare Ziele definiert
In der linken Ecke stehen eine Handvoll Menschen. Nicht viele sind da, um diesem wichtigen Schritt beizuwohnen. Eine sportliche Du-Kultur herrscht vor, auch wenn noch Hemmungen gegenüber den Politiker:innen spürbar sind. Laufend betreten Kinder die Sporthalle. Sie machen sich bereit für ihr Training. So wie jeden Donnerstag. Aber heute wärmen sich ein für das kurze Spiel, das nach der Unterzeichnung auf sie wartet. Was die Kinder verbindet, ist die Leidenschaft für den Sport. Diejenige Leidenschaft, die auch Menschen mit Behinderungen teilen. Dennoch ist es ihnen kaum möglich, gemeinsam mit Menschen ohne Behinderungen Sport zu treiben. Bisherige Angebote beschränken sich oft auf segregierte Gruppen. Das will der Kanton St. Gallen ändern und formuliert klar definierte Ziele in der Vereinbarung. Bis Ende 2024 sollen mindestens 17 Sportvereine das Unified Label von Special Olympics erhalten und fünf Breitensportanlässe ihr Angebot für Menschen mit Behinderungen angepasst haben. Nebst dem Aufbau der Sportangebote sind die Ausbildung von Trainer:innen, die Vernetzung der Akteur:innen im inklusiven Sport sowie die Zusammenarbeit mit Institutionen, Schulen, Familienangehörigen und Behindertenorganisationen wesentlicher Bestandteil des Inklusionsprozesses.
Hürden abbauen, Angebote aufbauen
Auch prominente Unterstützung ist vor Ort. Aus der Politik sind die Regierungsrätin Laura Bucher und ihr Ratskollege Stefan Kölliker dabei. Aus dem Sport ist Simon Ammann, seit kurzem Präsident von Special Olympics Switzerland, anwesend. Laura Bucher ergreift an diesem Abend als Erste das Wort. In ihrer Rede geht es darum, Hürden abzubauen. Nicht nur bauliche Hürden, sondern auch diejenigen im Kopf. Denn auch Menschen mit Behinderungen können im Sport eine Leistung erbringen. Und nicht zuletzt fördert Sport so die Teilhabe und Selbstbestimmung, wie sie auch in der UNO-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verlangt wird. Doch wieso unterzeichnet der Kanton die Vereinbarung gerade jetzt? «Es ist wichtig, dass wir den Schwung der National Games (Anmerkung Redaktion: haben im Juni 22 stattgefunden) mitnehmen. Der Kanton unterstützt Special Olympics Switzerland, damit noch mehr Menschen mit Behinderungen im Sport mitmachen können und so Teil der Gesellschaft werden. Wichtig ist, dass noch mehr Menschen vom Programm erfahren», erklärt Bucher.
National Games als Startschuss
Die National Games haben letzten Juni während vier Tagen in diversen Sportstätten St. Gallens stattgefunden. Für St. Gallen war dies ein erster Schritt in Richtung inklusiver Sport. Doch auch hier zeichnet sich die Problematik ab: Unter das Publikum haben sich fast nur Freunde, Bekannte oder Fans aus dem eigenen Verein gemischt. Obwohl das Stadion in einem bewohnten Gebiet liegt, waren nur selten Sportbegeisterte anzutreffen, die keinen Bezug zu Menschen mit Behinderungen haben. Dass solche Veranstaltungen den Sprung über die eigene Blase hinaus erreichen, ist noch nicht selbstverständlich. Doch die Inklusion hierzulande weiter voranzutreiben, das ist das Ziel des frisch gewählten Präsidenten von Special Olympics Switzerland. So betont Simon Ammann in seiner Rede: «Emotionen sind ein starker Treiber. Inklusion ist wichtig. Was sie bewirkt, zeigte dieser Sommer. Wir wollen Sport ermöglichen. Menschen mit Behinderung sollen sportlich fordern und gefördert werden. St. Gallen hat mit den Summer Games nicht nur gezeigt, wie Athletinnen und Athleten in der Region einen sichtbaren Platz bekommen, sondern auch mit der Unterzeichnung der Vereinbarung das Programm Unified wirklich vorantreiben wollen» Grosse Hoffnung setzt er auf die Olympic World Winter Games 2029, die in Chur stattfinden werden. Die Abstimmung dazu wurde erst kürzlich angenommen. Ein Erfolg, der hoffentlich nicht am Geld scheitern wird. Amman blickt zuversichtlich in die Zukunft: «Wir befinden uns in einer grossen Ära. Ein wichtiger Anlass, der hilft, die UN-BRK umzusetzen. Und er hilft, die Arbeit in den Vereinen, bei den Regierungen in der Schweiz für den Sport im Sinne der Inklusion weiter voranzutreiben.» Die Vorfreude um den Anlass ist gross. Rund 110 Nationen und 2500 Athlet:innen mit Behinderungen werden teilnehmen.
Verpflichtet zur Inklusion
Auch die Stimme eines Selbstbetroffenen darf an diesem Abend nicht fehlen. So erzählt Yannick Zimmermann, Spieler des FCSG Unified, wie er zum inklusiven Sporttraining gefunden hat: «Ich habe immer gekämpft und Möglichkeiten gesucht, Fussball spielen zu können. Nirgends habe ich mich wertgeschätzt gefühlt. Ich war sogar in Barcelona. Der FCSG hat mich aufgenommen. Hier fühle ich mich wohl. Ich wohne zwar im Kanton Zug, aber ich trainiere gerne hier. Ich bin ehrgeizig und mache jeden Tag Sport.» Nach dieser Erfolgsgeschichte steht der Unterzeichnung der Vereinbarung nichts mehr im Weg. Das Dokument liegt bereit, die Stifte schwingen über das Papier. Die Vereinbarung muss nun definitiv eingehalten werden. Und ganz dem Zweck gesonnen, findet anstelle eines Apéros ein kurzer Match mit den Kindern, die nun eingelaufen und aufgewärmt sind, statt. Im Sinne der Inklusion spielen nicht etwa die Kleinen gegen die Grossen. Die Gruppen sind gemischt. Ein wichtiger Schritt zur Inklusion, der mit der neu geschaffenen Koordinationsstelle noch lange nicht der Letzte sein wird. Und so wächst auch mit jedem weiteren Schritt die Zuversicht, dass die Olympic World Winter Games 2029 vielleicht erstmals ein diverses Publikum anziehen werden.